Text_Ich weiss nicht, was soll es bedeuten…

Eröffnungsrede zur Ausstellung
Gesine Kikol: „Ich weiss nicht, was soll es bedeuten…“
Kunstverein Linz am Rhein e.V.
November 2013

Prof. Dr. Gabriele Oberreuter

Der Kunstverein Linz zeigt Gesine Kikol (*1976), eine im Rheinland aufgewachsene und an der Düsseldorfer Akademie ihre malerische Entwicklung genommene Künstlerin.

Gesine Kikol absolvierte zunächst in Düsseldorf ein Studium der visuellen Kommunikation mit dem Schwerpunkt Illustration, Malerei und Fotografie. Gleichzeitig war sie schon Gasthörerin bei A.R.Penck, später bei Daniel Richter in Berlin und mit 24 Jahren nahm sie ihr Malereistudium bei Jörg Immendorff in Düsseldorf auf. Sie wurde seine Meisterschülerin und verließ 2006 die Aus­bil­dungs­stätte mit dem Akademiebrief. Ein Stipendium für Finnland schloß sich 2006 an und seit 2008 ist Gesine Kikol an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft als Dozentin für Malerei und Zeich­nung tätig, sowie seit diesem Jahr auch an der Düsseldorfer Akademie als Lehr­beauftragte.

Gesine Kikol zeigt sich in Linz mit großformatigen, wuchtig gemalten Leinwänden. Die Künstlerin umkreist einen eigens für Linz gewählten Themenkreis – hier war es das Mittelrheintal mit dem Weinanbau, dem Loreley-Felsen und der Tradition von Rheinromantik. Im Entwicklungsprozeß ihrer Arbeit umkreist sie zunächst ihr Thema, indem sie die Landschaft besucht, erlebt, kulturhistorische Bücher konsultiert und intensiv zeichnet. Nachdem sich Hunderte von Skizzen auf dem Tisch türmen, beginnt erst der Malprozeß: auf der Projektionsfläche von Landschaft oder der menschlichen Verkörperung der Loreley gibt sie exis­ten­tiellen Themen Raum: Leben, Fruchtbarkeit, Genuß, Ekstase, Fülle und barocker Überschwang.

Sie erzählt, daß sich nach den vielen Vorübungen im Zeichnerischen das Malen wie ein Rausch ereignen kann. Allerdings wird solch ein Prozeß nur fruchtbar für eine gelingende Komposition, wenn sich konzentrier­te Phasen der Reflexion einbauen lassen.

Pastose und lasierenden Farben kombiniert sie; in schnellem Strich sind manche Dinge nur angedeutet, dabei das Wesentliche jedoch erfassend. Sie arbeitet auf der Leinwand in vielen Schichten, läßt das Laufen der Farben zu und integriert die Farbbäche in ihre Bilder. Es gibt Partien, in denen sich Dinge formieren wie aus einem sämigen Farbbrei – sie werden sichtbar und verschwinden wieder.

Es geht in ihrer wilden, gestischen Malerei um Liebe, Leidenschaft, Lust, Sex und Tod: Eros und Thanatos, Rausch und Ekstase, Schönheit und Vergänglich­keit: eine Orgie aus Pracht und Verfall.

Diese aus der Epoche des Barock uns vertrauten Phänomene führt Gesine Kikol bewußt weiter. Sie ist dabei keine naive Künstlerin, sie kennt sich bestens in der Kunst­geschichte aus und sucht Anregung bei Caravaggio oder Rubens. In ihren Arbei­ten lebt etwas von der Opulenz, der Leidenschaftlichkeit und sinnlichen Kraft des Barock weiter. Ein eigenes Element, das hinzukommt, läßt sich umschrei­ben mit einer surrealen Abgründigkeit, einer sinnlichen Frechheit, Witz und ausufernden Phantas­ma­gorien.

Innerhalb des Triptychons gibt es das querformatige Bild mit den sog. acht “Penthouse-Frauen”: hier versucht sie, moderne ‘Loreleyen’ zu formulieren. Sie gruppiert Abziehbilder von blonden Model-Typen, langbeinige Blondinen mit knappen Bikinis – nicht durch Gesichter individualisiert, selbstbewußt vor Betrachter und Kamera posierend, klischeehaft. Unser aktuelles Schönheitsideal drückt sich hier gelungen aus, es geht um falsche Werte, und, was dabei ‘herauskommt’, wenn wir uns an Klischees der Medien und der Industrie orientieren. Die keck formulierte Sogwirkung steht hier für die Abgründe, in die die sagenhafte Loreley dazumal die Schiffer zog …

Immer schwingt bei aller Morbidität oder fraglicher Erotik auch Ironie, Augenzwinkern und Witz mit. Und: bei aller Inhaltlichkeit gibt es auch ein rein malerisches Interesse, es geht um die Untersuchung des Mediums der Malerei und ihrer Möglichkeiten mit all ihren Höhen und Tiefen.