Text_Vanitas

„Down by the Track“
Kultur Bahnhof Eller, Düsseldorf
1. Mai – 12. Juni 2022

Gesine Kikol: „Vanitas_03“, 2022, Acryl und Tusche auf Leinwand, 140 x 100 cm

Man könnte sein Augenmerk auf das legen, was Gesine Kikol gemalt hat – vielleicht aber sollte man vordringlich jenes in Betracht ziehen, was sie nicht gemalt hat:
Ihr Bild „Vanitas_03“ bietet keinen Ort, sämtliches Dargestellte schwebt durch nichtige Schwärze. Die Dinge sind haltlos, nachgerade aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, ins Nichts geworfen. Ja: Gesine Kikol legt uns dar, dass es eben jenen Zusammenhang dieser Zitate nicht mehr gibt.

Was wir sehen, ist zunächst ein stattliches Arsenal an Todessymbolen: Kikols Vögel sind durchweg ziemlich hinüber, teils dahingestreckt von des Jägers Geschoss, teils anderweitig verblichen, mitunter bereits skelettiert. Schmetterlinge flottieren, den Seelen der Toten gleich, umher. Das alles sind Versatzstücke der Vanitas-Malerei.

Nur sind sie bei Kikol eben diesem Zusammenhang entrissen: Wir sehen keinen moralischen Impetus („Erkenne deine Sterblichkeit und lebe tugendhaft, sodass du beim Jüngsten Gericht keinen Ärger bekommst!“). Auch erhebt sich Kikol nicht mit künstlerischer Triumphgeste über den Tod („Ich male diesen toten Vogel jetzt besser, als ihn die Natur je hinkriegen würde, entrücke ihn und mich so in die Unsterblichkeit der Kunst!“).

Nein: Gesine Kikols malerischer Gestus ist von einer gewissen Lakonik. Sie legt den Tod dar, den Tod, auf den wir alle mit größter Selbst-Verständlichkeit zurück kommen, als letzte und deshalb stärkste unserer Möglichkeiten: „Ich kann keinen Strauß blühender Blumen betrachten, ohne ihr Verwelktsein zu sehen“, sagt sie. „Wüsste ich nicht, was Welksein ist, dann wüsste ich nicht, was Blüte ist.“

Im unteren Bilddrittel sehen wir allerlei Getier im – wie man vordem vornehm zu sagen pflegte – Symplegma. Das ist nur zu plausibel: Ohne Zeugung kein Tod.
So gesehen ist der Akt in seiner Eitelkeit ein notwendiges Komplement des Vergehens. Überdies teilt sich bei Betrachtung der kopulierenden Tiere Kikols auch keine rechte sexuelle Ekstase mit: Ihre Kröten beispielsweise sehen eher melancholisch aus, was womöglich daran liegt, dass Kröten, egal, was sie tun, gar nicht anders als melancholisch aussehen können, und das wiederum mag der Grund dafür sein, dass Kikol gerade sie ins Bild gesetzt hat. 

Das Elchpärchen hat sie, um Missverständnisse auszuschließen, gleich auf jenen rätselhaften Polyeder positioniert, den wir aus Albrecht Dürers „Melencolia I“ kennen. Die Häschen schließlich sind auf Gustave Courbets „Ursprung der Welt“ rammelnd zugange – „Ursprung welcher Welt?“, möchte man hier fragen. Jener, die sich ins Nichts wirft? Jener Welt der schwarz grundierten Stinkmorcheln?

Gesine Kikol verweigert hier die Antwort. Sie legt uns all das dar, dann lässt sie uns allein – sehend, was sie gemalt hat, und sehend, was sie nicht gemalt hat.

Martin Berke, 2022