Text_Totale Vanitas. Yeah!

Gesine Kikol: Totale Vanitas. Yeah!
Hotel Braun – ART Hotel, Kirchheimbolanden, 2016

Einführung von Dr. Lydia Thorn-Wickert

Herzlich Willkommen zur Ausstellung
von Gesine Kikol im Hotel Braun – ART Hotel!
Sie trägt den Titel TOTALE VANITAS. YEAH!

17 Buchstaben, geballte gegensätzliche und polarisierende Aussagen. Schon im Titel überlagern sich intellektuelle und semantische Ebenen von Kunst, Religion und Gesellschaft in drei Wörtern auf Deutsch, Latein und in umgangssprachlichem Englisch, letzteres allen vertraut seit dem Song von Paul McCartney (1963).

Totale Vanitas –
„Total“ – ein Attribut der Unbedingtheit, das uns Deutsche seit der Goebbelsrede im Berliner Sportpalast (18.2.1943) als ein für demagogische Verdummung höchst anfälliges Volk ausweist und viele von uns noch heute betroffen macht, und von daher eine bleibende bitter-negative Konnotation hat.

„Vanitas“ – lateinisch für Nichtigkeit, Vergänglichkeit, Leere, Eitelkeit.
Ein absoluter Begriff; in der Verbindung mit „total“ die klare Ansage für einen künstlerischen Super-Gau in Richtung Barock.
Und dann Yeah! – Die Beatles (She loves you, yeah, yeah, yeah) klingen in den Ohren und reißen gefühlsmäßig das Ruder herum, was nichts anderes heißt als „so schlimm ist das alles nicht (mit der Vergänglichkeit)“ oder (wie Angela Merkel sagt) „Wir schaffen das!“ Soviel zum Titel.

Erst vor wenigen Monaten hat die Künstlerin die Barockstadt Kirchheimbolanden und diese Räumlichkeiten hier kennengelernt. Sie ist eine „Schafferin“, wie man in der Pfalz sagen würde. Seit Jahresbeginn hat Gesine Kikol mehr als 50 Werke geschaffen, neben einer Lehrtätigkeit an der Kölner Universität. Intensiv gemalt wird donnerstags bis montags und in der vorlesungsfreien Zeit.

Vorab schickte sie mir einen fünfzehnseitigen Text mit dem lieben Hinweis „Hier ein paar Infos zum Eingrooven in meine Bilder. Wenn Du noch Fragen hast, ruf mich gerne an.“

Daraus ersehen Sie schon, verehrte Gäste, was hier hängt, ist nicht das Ergebnis eines Zufalls, sondern intensiver intellektueller Vorüberlegungen zu einem Thema, das paradoxerweise mit toten Hasen eine Epoche der Stadt Kirchheimbolanden wieder lebendig werden lässt, in der die Stadt (2. Hälfte des 18. Jh.) als Residenz des Nassau-Weilburger Fürstenpaares Caroline (gest. 6.5.1787) und Carl Christian (gest. 1788) bisher ihre vielleicht wichtigste kulturelle Blüte erlebte. Gemeint ist die Epoche des Barock.

Das Thema der Nichtigkeit des Lebens (Vanitas) beschäftigt zwar seit Beginn menschlichen Bewusstseins unser Denken, gewann aber im Zeitalter des Barock, mit dem allgemeinen Drang nach Erkenntnis und Wissensdurst im Diesseits, besondere Bedeutung im intellektuellen und moralischen Diskurs. Vom Inhalt der Bildwelten her betrachtet also eine echte Barockausstellung zur Kulturnacht 2016! Was das für das Malerische bedeutet, sehen wir später.

Ursprungsort des Barock als Stilepoche ist Rom, Zentrum der katholischen Christenheit. Die Barockkunst ist die künstlerische (und auch politische) Antwort auf die Reformation, zu verstehen als Propaganda der Gegen-reformation, eng verbunden mit der Institution der katholischen Kirche, die vor der Hocharistokratie der größte Auftraggeber für die Kunst war.

Mit einer natürlichen zeitlichen Verzögerung erreichte der neue Stil die Fürstenhöfe nördlich der Alpen und bestimmte auch die Gestaltung der Schlossanlage mit Garten, die Orangerie, die historische Altstadt von Kirchheimbolanden zu einer Zeit, als der Stil im Ursprungsland Italien längst überwunden war.

In der Malerei beschritten die Künstler nördlich der Alpen, insbesondere in den protestantischen Niederlanden einen eigenständigen Weg. Ihre Gemälde waren nicht primär für Kirchenfürsten, sondern hauptsächlich für die wohlhabende Bürgerschaft bestimmt. Dabei wird das Stillleben zu einer dominanten Bildgattung (erstes Vorbild ist der „Fruchtkorb“ von Caravaggio). In leuchtender Farbigkeit, Feinmalerei, detailgenauer Beschreibung der Materialität werden wurmstichige Äpfel, welkende Blätter, faulende Trauben, aber auch auf der Jagd getötete Tiere, realistisch wiedergegeben und verweisen auf die Vergänglichkeit alles Irdischen.

Wir sind beim Schlüsselbegriff der Ausstellung angelangt, dem Begriff der „Vanitas“, der im übertragenen Sinne auf die Endlichkeit (und damit auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit) des irdischen Lebens verweist. Der Begriff ist zitiert aus einem Vers des Alten Testaments aus dem Buch des Predigers Salomon (Prediger 1,2) „Omnia est vanitas“. (im Küchenlatein der frühen Christenheit). Das heißt so viel wie „Alles Irdische ist eitel und Haschen nach Wind…auch das Streben nach Weisheit ist eitel.“

Die Quintessenz der Einsicht in die Nichtigkeit des Daseins führt bei Salomon nicht zur depressiven Passivität, sondern zur Aufforderung (Prediger 9, 7/9): „So geh denn hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; … Genieße das Leben mit deinem Weibe, das Du liebhast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat.“

Es geht also um Lebensbejahung auf der einen Seite, um Demut, Einsicht und Verantwortung auf der anderen. Diese spannungsreiche Dualität, so alt wie die Menschheit selbst, konnte allerdings auch im Barockzeitalter trotz intensiver Behandlung nicht aufgelöst werden und behält ihre Aktualität bis in unsere Zeit.

Vom Ringen mit dieser Dualität zeugen auch die Bilder von Gesine Kikol. In ihrer Malerei verpackt sie provozierende Fragen in scheinbar einfachen, lockenden Kontexten. Mit breitem Pinselschwung und sicherer Farbgebung erschafft sie die Paarung dreier Hasen, in sich schlüssig und doch bereits linguistisch ein Widerspruch. Die Hasen stehen für fühlbare Schönheit, Fruchtbarkeit und bunte Freude des Lebens. Sie sind die einzige Darstellung lebendiger Wesen in dieser Ausstellung hier. In den beiden folgenden Bildern (Treppenaufgang, Rezeption) sind die Hasen tot und vereinzelt, aber immer noch schön. Schritt für Schritt verblassen die Farben, der erste Kadaver zeigt noch rosa Farbreste, der zweite ist vorwiegend grau. Kikol hat hier nicht allein mit dem Pinsel gearbeitet, sondern ganze dunkle Flächen mit Acryl gesprüht. Das verdeutlicht die Leere, zeigt große Schattenräume. In den beiden Vanitas-Stillleben im Speiseraum bedient sich die Künstlerin einer ausgeklügelten barocken Bildsprache. Die Diagonalen werden stark akzentuiert, diverse „tote“ Gegenstände sind um die Hasen angeordnet. Wir erkennen bekannte Objekte aus der Ausstellung IM GARTEN DER LÜSTE wieder: Erdbeeren, die Früchte der Lust, hier verschimmelt, das Einhornhorn, hier leer und tot, hohler Überrest eines uralten Fabelwesens, Symbol für das Gute, Reine, Jungfräuliche; das Blatt mit dem Schriftzug „Vanitas“ als Verweis auf die Nichtigkeit allen enzyklopädischen Wissens.

Die Künstlerin ist bewandert in der Kunstgeschichte und bewegt sich frei im unerschöpflichen Werkreservoir der Vergangenheit. Mit Vorliebe lernt sie von den alten Meistern. So erinnern ihre Stillleben an die Jagdstillleben eines Jan Weenix, Meister des Goldenen Zeitalters des holländischen Barock, dessen Bilder von Goethe (Dichtung und Wahrheit) nach einem Besuch auf Schloss Bensberg (1774) so begeistert beschrieben worden waren.

Damit sind wir beim „Yeah!“ und wieder bei der irdischen Lebensbejahung, für die der Dichterfürst aus Weimar bis ins hohe Alter stand.

In dieser Ausstellung lautet das einzige geschriebene und damit letzte Wort „vanitas“. Aber wir haben die Freiheit, die Ausstellung in entgegengesetzter Laufrichtung zu besichtigen und den Gegenpol „YEAH!“ in den Vordergrund zu holen.

Als Auftakt zum Residenzfest kann ich mir keinen besseren Schlachtruf vorstellen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Spaß in der Ausstellung!

Lydia Thorn Wickert, thornconcept, Kirchheimbolanden und Bonn, 2016