Text_SEXED UP

„SEXED UP“
Prof. Jörg Eberhard
Rede zur Ausstellungseröffnung 
Galerie Nostheide-Eycke, Düsseldorf, 2011

Das Erzeugen von umfassender Sichtbarkeit im Bild ist ein Merkmal unseres Alltags und der aktuellen Kunst. Das Fernsehen bietet live den Blick rund um die Welt, das Internet stellt sofort eine unübersehbare Anzahl von Bildern zur Verfügung, aber auch die Fotografie neigt durch Schärfe, Tiefenschärfe, Ausleuchtung und Bildbearbeitung zur Fetischisierung des Sichtbaren, genauso wie die Verwendung von Readymades oder die Malerei mit industriellen Mitteln oder auf monochrom-materialistischer Grundlage. Jeder der eine Kamera oder ein Handy hat arbeitet an der Verdoppelung der dinghaften Welt in Bildern.

Nachdem lange Zeit Bilder immer auf eine als existierend angenommene Welt bezogen waren und sich quasi aus dieser ableiteten ist nun eine in sich fast homogene Bilderwelt zu der Dingwelt hinzugekommen und besteht als ein potentiell auf sich selbst bezogenes Referenzsystem.

Damit verschwindet innerhalb des Systems die Rätselhaftigkeit des Bildes, da es auf sich selbst bezogen alles zeigt, was es kann und die eben noch rätselhafte Ausschnittartigkeit des Bezugs zu dinghaften Welt verschwunden ist. Solche durch und durch klaren Bilder haben in gewissem Sinn einen pornographischen Charakter. Künstler können diesen Blick intuitiv bedienen oder sich diesem widersetzen.

Gesine Kikol ist selber der rätselhafte Referenzpunkt ihrer Malerei.

Ihre Hand, ihr beweglicher Körper malt.

Wir sehen, dass die meisten Bilder auf dem Boden liegend gemalt sind, weil die Tropfen und die Farbpfützen nicht an der Leinwand herunterlaufen, sondern auf dieser in die Breite fliessen. Jeder Pinselstrich und Farbfleck ist eine Spur, die Gesine Kikols Körper auf der Malfläche hinterlässt. 

Anhand der Malspuren können wir Betrachter der körperlichen Geste von Gesine Kikol folgen und sie uns bei der Arbeit vorstellen. Bis in Details hinein wird sichtbar, ob sie ruhig ist oder nervös, ob sie Vorstellungen realisiert oder ihrem Instinkt folgt. Damit greift sie auf die Möglichkeiten der informellen Malerei zurück. 

Gleichwohl sehen wir sie als arbeitende Malerin, sehen das, was sie bewusst oder unbewusst über sich preiszugeben bereit ist. Kurz: es bleibt für uns vieles im Dunkeln, unergründbar und rätselhaft. Damit verteidigt Kikol die Privatheit und das Nichtwissenlassen als ästhetische und soziale Instanz.

Die Bilder bleiben am Ende nicht auf dem Boden liegen, sie werden um 90 Grad gedreht und senkrecht an die Wand gehängt. Damit wird der eben geschilderte körperliche Blick indirekt, er wird visuell und auf die Erwartung eines für die Augen gemachten Abbilds gerichtet. Diese Erwartung löst die Malerin ein.

Wir sehen seltsame Landschaften mit kopulierenden Rentieren, eine seltsame Krankenschwester, eine bedrohliche Ratte und einfach Kartoffeln mit Trieben und Ingwerknollen.

Wie hängen diese unterschiedlichen Motive zusammen? Gesine Kikol sieht Motive in der uns umgebenden tausendfachen Bilderwelt, ist von diesen fasziniert oder erschreckt und bricht sie für sich aus ihrem jeweiligen Zusammenhang heraus. 

Indem sie sie so wiedergibt, dass die Abbilder immer in der Gefahr sind zu Farbpfützen zusammenzulaufen, sich in Pinselstriche aufzulösen und unerkennbar zu werden, eignet sie sich diese an, macht sie gleichsam zu Teilen ihres Malerinnenkörpers. Das, was eben noch erkennbares Bild war, wird zu einem schwer durchdringbaren Teil der Persönlichkeit von Gesine Kikol.

Damit versucht sie die Bilder aus der Beliebigkeit zu retten, indem sie sie durch malerisch-körperliche Aneignung in Teilen verrätselt und das Sichtbare damit einem eingeschränkten, aber Bedeutung aufbauenden Blickwinkel ausliefert.

Prof. Jörg Eberhard, Düsseldorf, 2011