Katalogtext von Gesine Kikol
„Klasse A.R. Penck – Kunstakademie Düsseldorf“, Verlag Kettler, 2022
„So geht also Kunst studieren!“
Ich wollte Kunst studieren, unbedingt, wollte Künstlerin werden, Malerin werden. Da war ich sicher. Unsicher war ich bei der Frage: Was ist das eigentlich, was ich so unbedingt will? Wie geht das, Kunst studieren? Was passiert in einer Akademie? Ich war 23 und
kam ein bisschen vom Land. Dann aber wurde es konkret, ich war da, hatte die Akademie betreten und versuchte, sie zu verstehen.
Es gab Tutor*innen, denen man Fragen stellen konnte, und so fragte ich Pencks Tutorin, wann er denn das nächste Mal erscheinen würde. Und dann endlich, nach längerem Warten, erschien er. Es ist merkwürdig: Wir „kennen“ diese Wesen aus ihrem Werk,
aus den Medien, vom Hörensagen, und plötzlich materialisieren sie sich im Menschlichen, sie sind „da“, im selben Raum wie wir.
Ein Mann kommt durch die Tür, „Das ist Penck!“, dachte ich, und das war ein seltsames Gefühl: dass er „da“ war. Es gibt sie also tatsächlich, diese berühmten Künstler*innen! Er war ein kleiner lustiger Mann mit einem strubbeligen Bart. Ich konnte es nicht glauben, aber er, dieser so berühmte Künstler, setzte sich zu seinen Studierenden in die Runde, er bekam den Korbsessel mit den Armlehnen, die anderen waren auf Stühlen und Hockern verteilt. Ein Tisch war gedeckt, mit Essen und Getränken. Dann begann Penck seine Lehrtätigkeit, zunächst, indem er Weintrauben aß.
Anschließend trug er aus seiner Korrespondenz vor, welche sich während seiner Abwesenheit in seinem Postfach angesammelt hatte. Der Lehrer lehrt weniger durch das, was er lehrt, als durch das, was er ist. Und Penck war etwas. Danach zeigten die Studierenden ihre Arbeiten. Sie erklärten, Penck gab Kommentare, erzählte inspirierende Geschichten aus jener Welt der Kunst, von der ich so noch nie gehört hatte, alle redeten mit, erzählten von den fernen Ländern, aus denen sie kamen, der Tisch füllte sich immer mehr mit Speisen, Bier und Wein, wir füllten uns immer mehr mit Speisen, Bier und Wein, die Dinge gerieten in wunderbaren Fluss. Aha: So geht das also, Kunst studieren!
Ich weiß nicht mehr genau, wie er mich angenommen hat. Ich glaube, ich habe einfach gefragt und er hat schlicht „ja“ gesagt. So wurde ich seine Gasthörerin für zwei Semester. Damit gab er mir eine Chance, gab mir die Zeit, mich zu entwickeln, gab sich die Zeit, mich kennenzulernen.
Er hat niemandem seine Art der Malerei aufgedrängt, es gab keinen Klassenstil, jeder hat etwas völlig anderes gemacht, alles konnte gleichwertig nebeneinander existieren. Es herrschte Freiheit, Offenheit, Akzeptanz.
Ich hatte noch nicht so viele große Arbeiten, aber Penck half mir, aus meinen Zeichnungen und Malereien eine Mappe zusammenzustellen. Ebenso einige Studierende aus der Klasse, in der Zeit, als Penck nicht da war. Mit Erfolg: Ich wurde an der Akademie angenommen. Endlich war ich dauerhaft dort, wo ich unbedingt sein wollte. Ich verbrachte das erste Jahr wie alle Studienanfänger*innen im Orientierungsbereich. Danach bin ich zu Pencks Kollegen und engem Freund Jörg Immendorff in die Klasse gegangen. Mir gefiel die härtere und kritischere Auseinandersetzung und das Erzählerische in den Werken Immendorffs gut.
Penck bleibt mir ewig in guter Erinnerung, als mein erster, lustigster, lockerster und liebenswertester Professor. Ich bin ihm sehr dankbar für die ersten guten Erfahrungen an der Akademie. Penck half mir dabei zu werden, was ich bin. Was kann man Besseres über seinen Lehrer sagen? Vielleicht hätte ich es ohne ihn nicht an die Akademie geschafft. Vielleicht wäre ich ohne ihn nie bei Immendorff gelandet. Vielleicht würde ich jetzt nicht selbst so gerne mit Studierenden arbeiten und ihnen helfen, ihren ganz eigenen Weg zu finden.
Gesine Kikol, Düsseldorf, 2022
A.R. Penck (* 1939 in Dresden, † 2017 in Zürich) lehrte von 1989 bis 2005
Freie Grafik und Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.
Gesine Kikol: 1999 – 2000: 2 Semester Gaststudium bei Prof. A.R. Penck, Kunstakademie Düsseldorf